Rede zum Holocaustgedenktag

Liebe Eltern, liebe SchülerInnen und Schüler,

am 04.02.2025 gedachten wir der Opfer des Nationalsozialismus und des Holocausts. In einer Zeit, in der Erinnern wichtiger denn je ist, setzen wir mit dieser Gedenkveranstaltung ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen Antisemitismus und gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit.
Die nachfolgende Rede wurde im Rahmen der Gedenkveranstaltung von Dr. Martin Emmrich geschrieben und gehalten und soll auch hier digital zugänglich bleiben – als Mahnung, als Erinnerung und als Appell an unser gemeinsames Verantwortungsbewusstsein.

Rede zum Holocaustgedenktag am FGG Mücheln

Teil I – Eröffnung

Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Eltern und Gäste,

heute sind wir hier zusammengekommen, um an ein Ereignis zu erinnern, das uns alle betrifft und uns mahnt, nie zu vergessen: das systematische Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, bei dem sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner, Behinderte und viele andere Menschen aufgrund ihrer Identität, ihrer Herkunft oder ihrer Überzeugungen ermordet wurden – den Holocaust.

Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Jahr 1945, ist der Gedenktag, an dem wir innehalten, nachdenken und uns der grausamen Geschichte erinnern. Dabei ist Erinnerung mehr als nur ein Blick zurück. Sie ist eine Verpflichtung für die Gegenwart und die Zukunft, wie uns die 103-jährige Holocaustüberlebende Margot Friedländer eindrucksvoll vor Augen führt. Denn die Frage: „Wie konnten solche Verbrechen geschehen?“, darf nie vergehen oder nur als historisches Ereignis abgehandelt werden. Die Erinnerung an den Holocaust ist eine Mahnung, unsere Verantwortung als Gesellschaft zu erkennen und uns für Werte wie Toleranz, Frieden und Menschlichkeit einzusetzen.

Jede und jeder Einzelne von uns ist in der Pflicht, sich nicht nur als Erinnerungsträger, sondern auch als aktiver Teil einer Gemeinschaft, gegen Intoleranz und Antisemitismus zu stellen. Unsere Schule ist ein Ort, an dem wir lernen, nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen. Der Holocaustgedenktag erinnert uns daran, wie wichtig es ist, sich über die Geschichte bewusst zu sein, über die Fehler der Vergangenheit nachzudenken und das Wissen um diese Gräueltaten in die Gegenwart zu tragen. Wenn wir der Opfer des Holocaust gedenken, dürfen wir nie vergessen, dass der Hass, der zu diesen Verbrechen führte, sich über Jahre hinweg schrittweise und teilweise als schleichender Prozess in einer Gesellschaft ausbreitete. Denn Hass hat viele Gesichter – Vorurteile, Ausgrenzung, Desinformation, Verblendung, Diskriminierung oder Gewalt.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns aktiv mit dieser Geschichte auseinandersetzen und für eine Kultur der Erinnerung und des Respekts eintreten. Jeder Kommentar, jede Einstellung, die auf Vorurteilen oder Intoleranz basiert, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Als Schulgemeinschaft eines Gymnasiums haben wir die Möglichkeit, diese Haltung in der Gesellschaft zu verbreiten. Wir sind die Zukunft – und wir können entscheiden, wie diese Zukunft aussieht.

In unserer Erinnerungskultur geht es nicht nur um das Gedenken, sondern auch darum, den Opfern eine Stimme zu geben. Es geht darum, ihre Geschichten zu bewahren und die Unmenschlichkeit zu verurteilen, die zu ihrer Vernichtung führte. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir uns mit den Schicksalen von Überlebenden und den Ermordeten sowie ihren Familien auseinandersetzen. Ihre Erlebnisse sind ein unverzichtbarer Teil der kollektiven Erinnerung, und sie bieten uns eine wertvolle Gelegenheit, über Mitgefühl, Menschlichkeit und den Wert der Freiheit nachzudenken.

Halten wir nicht nur an diesem Tag inne, sondern übernehmen wir die Verantwortung, die Erinnerung weiterzutragen. Es gilt für eine Welt einzutreten, in der niemand aufgrund seiner Herkunft, Religion oder Überzeugung diskriminiert wird. Respekt und Frieden sollten das Fundament unseres Zusammenlebens sein, für diese Werte müssen wir eintreten.

Indem wir heute und an jedem anderen Tag des Jahres das Erinnern bewahren, stellen wir sicher, dass die Taten der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten. Wir stellen sicher, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen können. Dies ist nicht nur eine Aufgabe für Historiker, Politiker, Lehrer oder die Generationen vor euch – es ist eine Aufgabe für uns alle.

In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat von Elie Wiesel abschließen, einem Überlebenden des Holocaust, der es in den letzten Jahren seines Lebens zu seiner Aufgabe gemacht hat, das Gedenken wachzuhalten:

"Die größte Gefahr im Leben ist nicht, dass wir zu wenig tun, sondern dass wir zu viel tun – und dabei das Wesentliche übersehen."

Lasst uns das Wesentliche nie aus den Augen verlieren: Uns Menschen, die wir auf der Welt sind und die wir nach Toleranz, Verständnis und Liebe verlangen. Lasst uns die Erinnerung bewahren und uns für eine gerechtere Zukunft einsetzen.

Teil II Was ist und warum brauchen wir eine „Erinnerungskultur“?

Erinnerungskultur bedeutet mehr, als nur zu gedenken. Sie fordert uns heraus, nicht nur zurückzuschauen, sondern auch in der Gegenwart Verantwortung zu übernehmen. Die Erinnerung an den Holocaust ist nicht einfach eine historische Betrachtung vergangener Tage. Sie ist eine Mahnung für heute, eine Erinnerung daran, dass das Böse nicht plötzlich entsteht, sondern aus Vorurteilen, Hass und Ausgrenzung wächst. Diese Mechanismen der Entmenschlichung, die zur systematischen millionenfachen Vernichtung führten, können auch heute wieder aufkommen, wenn wir nicht wachsam bleiben.

Unsere heutigen Fragen sind: Warum werden wir noch immer dafür verantwortlich gemacht? Was geht mich das an? Für uns ist es Geschichte, die betroffenen Generationen bestehen zu großen Teilen nicht mehr. In aller Deutlichkeit: Unsere heutigen Generationen, wir und ihr seid nicht an den Gräueltaten des faschistischen Regimes schuld, jedoch ist es unsere Verantwortung, die Geschichte zu bewahren und weiterzutragen. Wir müssen uns fragen: Was können wir heute tun, um sicherzustellen, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen? Die Antwort liegt in der aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte, in der Sensibilisierung für die Gefahren von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung, und vor allem in der Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen.

Erinnerungskultur fordert uns auf, die Opfer des Holocausts nicht nur als Zahlen in einer Statistik zu betrachten, sondern als Menschen mit Namen, Gesichtern, Geschichten und Träumen. Sie fordert uns auf, das Leid und das Unrecht zu verstehen, das ihnen widerfahren ist, und aus diesem Verständnis eine Haltung der Menschlichkeit und des Respekts zu entwickeln.

In einer Zeit, in der Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder zunehmend präsent sind, müssen wir uns als Gesellschaft bewusst dafür entscheiden, uns gegen Hass und Gewalt zu stellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Vorurteile und Intoleranz unbeachtet wachsen. Jeder von uns trägt dazu bei, wie diese Welt aussieht – ob durch unsere Worte, unsere Taten oder durch das Schweigen.

Der Holocaust ist eine der dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte. Doch aus der Erinnerung an dieses unvorstellbare Leid erwächst eine Verpflichtung, für eine Welt einzutreten, die auf den Werten der Toleranz, des Respekts und der Gerechtigkeit basiert. Die Erinnerung an die Opfer muss uns immer wieder aufrufen, uns für das Gute, für die Wahrheit und für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen.

Teil III Aktionen in Vergangenheit und Gegenwart

Jeder Gedenktag, ist also auch ein Aufruf, in der Gegenwart aktiv zu werden, ein Appell an uns alle, wachsam zu sein und zu handeln. Während des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts waren viele, auch euch bekannte und beliebte deutsche Firmen direkt oder indirekt am System des nationalsozialistischen Regimes beteiligt, sei es durch die Nutzung von Zwangsarbeit, den Handel mit Raubgut oder die Zusammenarbeit mit den NS-Machthabern: Darunter Volkswagen, Daimler-Benz, IG Farben, Siemens, BMW, Allianz, ThyssenKrupp und die Deutsche Bank, um nur einige zu nennen. Viele dieser Firmen haben sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer Rolle in der Nazi-Zeit auseinandergesetzt, einige zahlten Entschädigungen an Überlebende der Zwangsarbeit und deren Nachkommen. Dennoch bleiben die Fragen nach der moralischen Verantwortung und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit heikle Themen.

Es gilt Geschichtsvergessenheit und Verdrängung zu vermeiden, stattdessen die Vergangenheit zu reflektieren und aus ihr zu lernen, und damit Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Antisemitismus und Rassismus sind auch in der heutigen Zeit nach wie vor präsent, und die junge Generation muss lernen, wie man solchen Ideologien entschlossen entgegentritt. Nur durch kontinuierliche Bildung und Sensibilisierung können wir verhindern, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Heute wollen wir die Erinnerung an die Opfer wahren, indem wir sie sichtbar machen. Die Überlebenden des Holocausts werden immer weniger. Ihre Geschichten und Erfahrungen sind unersetzlich und bieten uns einen direkten Zugang zu den Erlebnissen der Opfer. Es liegt in unserer Hand diese Geschichten weiterzugeben.

Wenn wir den Holocaustgedenktag nicht begehen, verlieren wir nicht nur die Erinnerung an die Opfer, sondern auch die Möglichkeit, von den Überlebenden und ihren Erfahrungen zu lernen. Nächstenliebe, Empathie und Menschlichkeit sind unsere Werkzeuge füreinander einzutreten, besonders in Zeiten der Not. Wir verstehen uns als Multiplikator und lehren Euch kritisches Denken, um die Mechanismen von Propaganda, Manipulation und politischer Indoktrination zu verstehen. In einer Zeit, in der Fake News und Verschwörungstheorien leicht und ungefiltert verbreitet werden, ist es umso entscheidender, dass junge Menschen die Fähigkeit entwickeln, Informationen und schließlich ihre eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, um sich nicht von gefährlichen Ideologien vereinnahmen zu lassen. Es gilt die demokratische Gesellschaft zu bewahren, denn der Holocaust ist auch eine Mahnung an die Zerbrechlichkeit demokratischer Werte. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und die Zerstörung der Demokratie in Deutschland führten zu einem der schlimmsten Verbrechen der Menschheit. Heute müssen wir wachsam bleiben, um sicherzustellen, dass die Grundwerte der Demokratie – Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte – nicht wieder untergraben werden.

Wenn Ihr meint, dass ihr nichts unternehmen könnt, lasst mich abschließend ein Beispiel aufzeigen, dass selbst in den widrigsten Zeiten immer noch Hoffnung bestand.

Die Geschwister Sophie und Hans Scholl sind herausragende Beispiele für mutiges, moralisches Handeln in einer Zeit, als das nationalsozialistische Regime die deutsche Gesellschaft mit Gewalt und Unterdrückung überzog. Ihr Widerstand, vor allem als Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe, die „Weiße Rose“, kann ein bedeutendes Vorbild für die heutige Jugend sein – besonders im Kontext des Holocaustgedenktages.

Sophie und Hans hatten den Mut, gegen die Verbrechen und die menschenverachtende Ideologie, die den Holocaust mit ermöglichte, zu kämpfen. In einer Zeit, in der viele Menschen aus Angst, Gleichgültigkeit oder blindem Gehorsam schwiegen, stellten sie sich gegen das, was sie als Unrecht erkannten, und versuchten, ihre Mitbürger aufzuklären und zu mobilisieren, um das Regime zu stürzen.

Ihre Flugblätter, in denen sie zu Widerstand und Zivilcourage aufriefen, waren ein mutiger Akt der Rebellion. Sie verurteilten die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten und forderten die Menschen zu einem moralischen Aufstand auf. Der Aufruf, sich nicht von der nationalsozialistischen Propaganda manipulieren zu lassen und sich gegen das Verbrechen des Holocausts zu stellen, ist gerade für die heutige Generation eine wichtige Mahnung.

Fazit

Sichtbare Zeichen und Aktionen zum Holocaustgedenktag schaffen Bewusstsein, fördern Empathie und Verantwortung und sind ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen das Vergessen, das Leugnen und die Relativierung des Holocausts. Somit ist dieser Tag nicht nur ein Moment der Erinnerung, sondern auch ein Aufruf, sich aktiv gegen Diskriminierung und Intoleranz in der Gegenwart und Zukunft einzusetzen.

Vielen Dank!

 

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